Ich kenne China seit vielen Jahren und bin aus familiären Gründen regelmäßig dort. Als Investor nutze ich diese Gelegenheiten, um aktuelle Entwicklungen aufmerksam zu beobachten. Leider wird in vielen Medien noch ein eher antiquiertes China-Bild gepflegt. Kürzlich bin ich einmal wieder vor Ort gewesen und nehme dies zum Anlass für einige aktuelle Berichte. Zum Start dieser Reihe möchte ich darstellen, wie China sich von der westlichen Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt zur technologischen Führungsmacht aufgeschwungen hat – und warum Europa trotzdem profitieren kann.
China – war das nicht das Land mit den Kohlebergwerken, den ausgebeuteten Arbeitern und der schrecklichen Umweltverschmutzung? Wird dort nicht immer kopiert, aber wenig neu geschaffen? Ist die deutsche Ingenieurskunst nicht haushoch überlegen? Wer immer noch so denkt, sollte einmal auf mediale Filter verzichten und sich am besten vor Ort ein Bild machen (Frankfurt – Shanghai ab 600 EUR).
Vor Ort sieht man dann schnell, dass die chinesische Bevölkerung neue Geschäftsmodelle und Technologien mit erstaunlicher Freude aufnimmt. Es herrscht eine Mentalität des spielerischen Ausprobierens, Trends werden schnell aufgegriffen (und auch schnell wieder abgewickelt) und in Geschäftsmodelle gegossen. In Kombination mit dem bald weltgrößten Binnenmarkt und hoher Kreativität entstanden und entstehen so Unternehmen, die sich anschicken, die weltweite Technologieführerschaft zu übernehmen. Spiegelbildlich zur Außenpolitik ist China damit auch im Technologiesektor dabei, die Führung von den USA zu übernehmen. Wie sehr die chinesische Konkurrenz bereits zur Weltspitze aufgeschlossen hat, zeigt unser kleiner Vergleich der Marktkapitalisierung der führenden Tech-Konzerne.
Im Vergleich: Marktkapitalisierung (USD) der größten Techkonzerne in den USA, China und Deutschland.
Im Folgenden möchte ich anhand einiger Beispiele aufzeigen, welche Macht Innovation, Bevölkerungsdichte und eine exzellente Infrastruktur im chinesischen Markt entfalten.
Innovation – OFO und mobike
Zwischen meinen beiden letzten Besuchen in Nanjing liegt ca. 1 Jahr. Vor einem Jahr fuhren die meisten Chinesen noch mit dem eigenen Fahrrad zur Arbeit oder S-Bahn. Und heute? Sieht man kaum noch eigene Fahrräder. Fast jeder der 6 Millionen Einwohner Nanjings nutzt eines der praktisch überall vorhandenen Leihräder von OFO oder mobike. Man scannt den Code, das Schloss geht auf – und ab die Post. Keine Angst mehr vor dem zuvor immer drohenden Fahrraddiebstahl. Kein lästiges Suchen nach einem sicheren Platz zum anschließen. Und vor allem, immer ein Fahrrad, wenn man es braucht.
Faszinierend ist hierbei, wie schnell sich der Service durchgesetzt hat. Man stelle sich so etwas einmal in Deutschland vor. Durch die extrem große Marktmacht wuchsen hier innerhalb weniger Jahre zwei globale Champions heran, die aktuell stark international expandieren und mittelfristig vermutlich Schritt für Schritt in weitere Branchen der Share-Economy expandieren werden. Jedes der Unternehmen hat Stand heute bereits rund eine Milliarde Venture-Kapital erhalten und damit über 100 Millionen Kunden gewonnen (also das Potential Deutschlands und Frankreichs zusammen).
Aufgrund des starken Heimatmarktes sind diese Firmen quasi unangreifbar.
Genial einfach, genial unkapputtbar – Fahrrad von mobike in ChengDu.
Disruption – Mobiles Bezahlen
Während wir noch versuchen, uns an kontaktloses Bezahlen per Kreditkarte zu gewöhnen, ist man in China bereits fünf Schritte weiter. Mobiles Bezahlen per Alipay (ZhiFuBao, 支付宝) oder WeChat (WeiXing, 微信) ist allgegenwärtig – sei es an der Straßenküche, am Getränkeautomat oder zum Spenden im Tempel. Auch hier setzte sich die neue Technologie innerhalb kürzester Zeit allumfassend durch – stellt euch vor, ihr kommt eure Familie nach einem Jahr besuchen, und das Bargeld ist weg…
Das System ist genial einfach. Man scannt den Barcode, gibt die Summe und seinen persönlichen Code ein und das wars. Die sich daraus ergebenden Anwendungsfälle sind intuitiv und vielfältig. Man bezahlt im Restaurant, wann man will, ohne einen Kellner rufen zu müssen (der Barcode klebt einfach auf dem Tisch). Man schickt Freunden zum Geburtstag Geld per Klick. Man scannt den Barcode am Getränkeautomaten und erhält nach zwei Sekunden sein Getränk.
Bargeldloses bezahlen in der Straßenküche.
Hatten Sie schon einmal das Problem, Ihren Croissant beim Bäcker nicht mit einem 50er bezahlen zu können? Die neue Technik entbindet den Händler vom mühsamen Wechseln und von der Gefahr, sein mühsam verdientes Geld durch Diebstahl zu verlieren. Die benötigte Infrastruktur? Keine – abgesehen von einem Barcode, den sich jeder Händler selbst ausdrucken kann. Kritiker werden jetzt bemängeln, dass ja nicht überall Netzempfang gibt. Auch das Problem ist gelöst, in dem Fall scannt der Händler einfach einen Offline-Barcode direkt vom Handy ab. Geht nicht – gibt’s nicht.
Aktuell findet eine tiefe Integration der Payment-Services in ein darüberliegendes Servicelayer statt. Die Bezahlung für Hotelbuchungen, Taxis, Online-Bestellungen, Essenslieferungen usw. wird direkt über die allgegenwärtigen Zahlungsdienstleister Alipay und WeChat abgewickelt. Visa und Mastercard? Sind raus! Das entstandene Ökosystem ist extrem profitabel und kaum noch angreifbar. Das System ist schneller, besser und sicherer als die herkömmliche Bezahlung per Kreditkarte (ein eigentlich antiquiertes System aus den 70ern).
Werden wir also in ein paar Jahren unseren Zahlungsverkehr über chinesische Firmen abwickeln? Gut möglich, zumal die Voraussetzungen dafür bereits geschaffen werden! Gut möglich auch, dass Amazon das chinesische Modell kopiert. Sollte man noch Aktien von Visa oder Mastercard halten? Ich denke eher nein – zu langsam, zu teuer, zu unflexibel.
Bevölkerungsdichte als Schlüsselfaktor
Wir haben uns den Spaß gemacht, die Appartements in unserem Wohnkomplex in ChengDu (der Hauptstadt Sichuans) zu zählen. Wir kamen auf ca. 9000 Menschen auf der Fläche von 4 Fußballfeldern. Nehmen wir nun die oben vorgestellten Bike-Sharing Geschäftsmodelle. Es lohnt sich für den Anbieter, an fast jeder Ecke Fahrräder aufzustellen, weil immer genügend Kunden vorhanden sind. Im Gegenzug wird das Geschäftsmodell schnell von der Bevölkerung adaptiert, weil immer ein Angebot vorhanden ist. Ein Vorteil, den weder die USA noch Europa bieten können.
Generell lohnt es sich, ein viel dichteres Netz an Infrastruktur wie Lieferndiensten, Mobilfunkmasten, Filialen, etc. aufzubauen. Immer erhöht das dichte Netzwerk die Nutzungsfrequenz oder ermöglicht neue Services. Hinzu kommt die Skalierbarkeit. Schaffe ich es, in Deutschland z.B. durch eine Publikation 10.000 Kunden zu gewinnen, so gewinne ich in China mit vergleichbarem Aufwand bereits 180.000 Kunden. D.h. ein Geschäftsmodell, das in Deutschland noch jahrelang von der Profitabilität entfernt ist, ist in China ggf. schon lange profitabel.
Im Online-Bereich konnte man am Beispiel der USA sehr schön beobachten, welch ein Schlüsselfaktor ein starker Heimatmarkt ist. China wird über die 300 Millionen Amerikaner vermutlich bald lächeln.
Infrastruktur
Ja, es stimmt. Das Trinkwasser in China ist schlecht, die Flüsse stinken und man atmet Smog. Das sollte aber den Blick nicht darauf verstellen, dass China Europa und den USA bei der WIRTSCHAFTLICH relevanten Infrastruktur (Transport, Verkehr, Energie und Internet) schon lange die Rücklichter zeigt. Die Energiepreise sind niedrig und erlauben so auch energieintensive Geschäftsmodelle. Die Autobahnen sind exzellent, ein Netz modernster Flughäfen überzieht das Land, und immer mehr Städte haben Direktverbindungen per Schnellzug. Diesen Monat startet z.B. die Strecke ChengDu – XiAn. 1000 Kilometer werden damit in knapp 3 Stunden zurückgelegt.
Trübe Aussichten – die Luftverschmutzung ist ein großes Problem. Allerdings bietet sie Herstellern von Elektroautos wie z.B. BYD enorme Wachstumschancen.
Während Europa sich totreguliert, die US Infrastruktur verfällt, Baustellen hierzulande Jahrzehnte dauern oder wie die Elbvertiefung immer wieder verzögert werden, schafft China Fakten. Die Bauzeiten betragen meist wenige Jahre, Projekte werden zentral geplant und umgesetzt. Die gesammelte Erfahrung wird bereits international angewandt – Straßen und Eisenbahnen in Afrika und Südamerika werden meist von chinesischen Konzernen gebaut.
Und das leidige Thema Breitbandausbau? Während ich in der Berliner S-Bahn regelmäßig kein Netz habe, schauen S-Bahn Passagiere in Nanjing oder ChengDu munter Filme im Livestream. Kein Netz? Gibt’s nicht. Mobiles Payment ohne Netz? Schade, Deutschland!
Und die Politik?
Politik in China ist unglaublich kompliziert – daher nur soviel: Ob die Politik hilft oder stört, muss man je nach Unternehmen bewerten. Zensur und Korruption können sich durchaus negativ auswirken. Auf der anderen Seite kann eine zentral definierte, strategische Ausrichtung Industrien wie z.B. Solar oder Elektromobilität enorm unterstützen. Den Einfluss der Politik auf die gerade zum Sprung ansetzenden Tech-Konzerne werde ich in einem separaten Beitrag beleuchten.
Und wie profitiert Europa dann doch?
Europa wird von der neuen chinesischen Innovationskraft in ähnlichem Maße profitieren wie aktuell noch von den Innovationen des Silicon Valley. Die neuen Ideen und Services werden neue Geschäftsmodelle ermöglichen und somit auch den Fortschritt in Europa beschleunigen. Die internationale Expansion chinesischer Firmen wird Arbeitsplätze in Europa schaffen – ein guter Freund arbeitet mittlerweile für Alibaba in Paris. Eine gestaltende Rolle wird uns allerdings – wie auch heute – verwehrt bleiben.
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